Blickpunkte

Katalog 2017

Text: Dr. Anna Heinze
Oldenburg

“Blickpunkte“

Zur Malerei von Werner Heinze

Ein Gemälde müsse wie ein Blick aus dem Fenster scheinen – diese Vorstellung einer Malerei, die die Welt repräsentiert, formulierte der italienische Architekt und Theoretiker Leon Battista Alberti 1435 in seinem berühmten Traktat. Ein Bild stellt demnach einen Ausschnitt der Welt dar und setzt die Realität gleichsam fort. Werner Heinzes Werke erinnern an diese Forderung an die Kunst. Auch ohne Fenstermotiv erblickt der Betrachter in Heinzes Bildern Ausschnitte der Welt, wie er sie kennt: Waldwege, Stadtlandschaften, Strandszenen. Es handelt sich nicht um Ideallandschaften, sondern um Orte, wie sie genau so für einen kurzen Augenblick existiert haben. Solange, bis im nächsten Moment die im Wind wehenden Blätter ihre Position bereits wieder geändert haben, das Wasser des Flusses weiter geflossen ist, die Wolken ein Stück voran gezogen sind, das Auto vorbei gefahren ist. Der Künstler hält sich dabei streng an das Motiv, lässt den Pinselstrich aber sichtbar und wird im Detail durchaus abstrahierend.

Der Betrachter findet bei Werner Heinze nicht die ursprüngliche Natur, sondern fast immer eine kultivierte Landschaft vor: einen Weg am Fluss, eine Brücke im Wald, eine Bank im Park. Somit wird zwar auf den Menschen verwiesen, doch ist dieser keinesfalls das Thema in den Darstellungen und oft genug nicht einmal anwesend. Diese eigentümliche Spannung aus der Absenz des Menschen bei gleichzeitigem Verweis auf seine Existenz und sein Tun kennzeichnet Heinzes malerische Auseinandersetzung  mit dem Verhältnis von Mensch und Natur. Es scheint, als suche Heinze nach Harmonie in der vom Menschen geformten Welt. Und er findet sie, indem er Momente festhält, die für ihn eine Dimension von Schönheit oder Glück beinhalten. Es ist also ein sehr subjektiver Blick – derjenige des Malers –, der sich in den vermeintlich objektiv und beinahe dokumentarisch beobachteten Motiven offenbart. Dadurch, dass nicht Menschen und Erzählungen, sondern Landschaften und Stimmungen Heinzes Werke prägen, werden sie zur Projektionsfläche für den Betrachter. In die malerisch vortrefflich eingefangenen Atmosphären, die in Licht-, Schatten- und Farbphänomenen spürbar werden, kann er sich selbst hineindenken. 

Raum und Zeit verhalten sich in Heinzes Werken konträr: Während die Zeit in der Momentaufnahme eingefroren wird, dehnt sich der Raum in der sich in die Tiefe entwickelnden Perspektive aus. Der Blick aus dem Fenster in die Welt  öffnet sich für den Betrachter und verliert sich an einer Stelle am Horizont, dort wo Himmel und Erde aufeinander treffen. Es ist zugleich der Blickpunkt, von dem aus der Künstler die Welt betrachtet hat, um sie losgelöst von ihrer zeitlichen Dimension auf die Leinwand zu bannen.

Dr. Anna Heinze,  Kuratorin für Bildende Kunst am Landesmuseum Oldenburg